Spiritualität der Heiligen - Eine Quellensammlung
zusammengestellt von Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB,
Benediktinerabtei Schäftlarn
Leben Jesu
Das irdische Leben Jesu ist in verschiedener Hinsicht bedeutsam:
1. Solidarisierung Jesu mit den Leidenden
2. Das verborgene Leben in Nazareth
3. Heiligung des Alltags
4. Lehrtätigkeit
5. Vorbild
6. Ruf zur Nachfolge
7. Wunder und Verklärung
1. Solidarisierung Jesu mit den Leidenden
Ein wichtiger Aspekt ist die Solidarisierung des Gottessohnes mit uns Menschen, vor allem mit den Kleinen, Schwachen und Leidenden:
Hippolyt von Rom (†
235):
Damit er aber uns
gleich geachtet würde, hat er Arbeit auf sich genommen, wollte
Hunger und Durst erleiden, hungern, hat im Schlafe geruht, sich
Leiden nicht widersetzt, hat dem Tod gehorcht und seine Auferstehung
sichtbar gemacht, und er hat in all diesem seine eigene Menschheit
als Erstlingsopfer dargebracht, damit du im Leiden nicht den Mut
verlierst, sondern dich als Menschen bekennend auch das erwartest,
was du ihm [in der Taufe als Opfer] dargebracht hast.
[refutatio omn. haeres. 10,33: MPG 16,3, Nr. 33; BKV 2
40, S. 289
2. Das verborgene Leben in Nazareth
Für Charles de Foucauld und Magdeleine Hutin war es
vor allem das verborgene Leben Jesu in Nazareth, das sie ansprach.
Auf ihre Anregung bzw. Initiative gehen die Ordensgemeinschaften der
Kleinen Brüder Jesu
und Kleinen Schwestern Jesu
zurück, die sich gerade diese unscheinbare und unspektakuläre
Zeit des Lebens zum Vorbild genommen haben.
Charles de Foucauld († 1916):
Er [Jesus] ging
mit ihnen [Maria und Josef] hinunter. Er kam nach Nazaret und ordnete
sich ihnen unter.
Er ging hinunter: Sein
Leben lang tut er nichts anderes, als hinunter zu gehen: in seiner
Menschwerdung, indem er arm wird, verlassen, ausgegrenzt, verfolgt,
hingerichtet, immer steht er am letzten Platz.
Wenn ihr zum Festmahl
eingeladen werdet, setzt euch an den letzten Platz.
Von seinem
Eintritt ins Festmahl des Lebens bis zum Tod handelt er selbst nicht
anders. Er geht nach Nazaret, Ort der Verborgenheit: gewöhnlicher
Alltag, Familie, Gebet, Arbeit, nichts Besonderes, ein stilles Leben
in Tugenden, die nur Gott bekannt sind, unter seinen Verwandten und
Nachbarn. Das heilige, demütige, wohltätige, unauffällige
Leben, das die große Mehrzahl der Menschen führt und das
dreißig Jahre lang seines war. Er ordnete sich ihnen unter. Er,
Gott, ihnen, den Menschen. Beispiel des Gehorsams, der Demut, der
Entäußerung im eigentlichen Sinn, unendlich wie seine
Gottheit.
Das Leben Jesu in Nazaret ist Foucauld auch Vorbild und Modell für alle Christen:
Welch ein
Beispiel wollte er uns geben, allen, selbst Königssöhnen,
da er selbst König war; uns allen, nicht nur den ehelos
Lebenden, sondern auch den Eheleuten - denn in Nazaret lebte er
zwischen Maria und Josef -; nicht nur den Ordensleuten, sondern auch
den in der Welt Lebenden, denn in Nazaret lebte er inmitten seiner
Gesellschaft. Er wollte das, er hat es sich ausgesucht,
Sohn
des Zimmermanns
, der Zimmermann, der Sohn der Maria
genannt zu
werden. Das ist sein Ort im Leben, der Ort seiner Leute.
Nach seiner Himmelfahrt
haben die Apostel, die ihn am besten kannten, seine heiligen Freunde
in Betanien, seine ersten Jünger dasselbe gewählt.
Der Diener ist nicht
mehr als der Meister.
Wer der Erste sein will, sei wie der Letzte.
Das bezog sich zunächst auf die Demut, und dann auf die Armut,
die so eng mit ihr verbunden ist, in der er von der Krippe bis zum
Kreuz gelebt hat.
[Texte:
Charles de Foucauld / Hingabe und Nachfolge / Geistliches Lesebuch,
Verlag Neue Stadt, München - Zürich - Wien 2005, S. 113 f.]
In einem Brief an
eine Kleine Schwester
legt Magdeleine Hutin (†
1989) die Grundsätze ihres neu gegründeten
Ordens dar:
Kleine Schwester!
Du hast ein einziges Vorbild: Jesus. Suche kein anderes. Wie Jesus es
in seinem irdischen Leben hielt, so werde auch Du allen alles: den
Arabern werde Araberin, den Nomaden Nomadin, den Arbeitern
Arbeiterin. Vor allem aber werde menschlich unter den Menschen …
Führe Dein Leben
nicht am Rande der Massen. Wie Jesus mach Dich zu einem Bestandteil
der Masse der Menschen. Dringe tief in Deine Umgebung ein und heilige
sie durch eine Lebensführung, die der ihren gleichgestaltet ist;
durch die Freundschaft; durch die Liebe; dadurch, dass Du Dein Leben
wie Jesus ganz in den Dienst aller stellst. Gehe so in ihr Leben ein,
dass Du eins bist mit allen, um unter ihnen gleichsam der Sauerteig
zu sein, der sich in der Masse verliert, damit diese sich hebe …
Ich wiederhole Dir dies
vor allem deshalb mit solchem Nachdruck, weil ich Jesus, das einzige
Vorbild, das eine Maß
, vor Augen habe; Jesus, den
menschgewordenen Gott, der mitten unter den Menschen ganz einfach als
einer von ihnen lebte. Er liebte sein Menschenleben und fand seine
Freude darin, unter den Menschenkindern zu wohnen. Und er zögerte
nicht, seine göttliche Würde unter der menschlichen Würde
zu verbergen. Er hat die Würde des Menschen verherrlicht, als er
unsere Menschennatur annahm …
Dies herrliche Vorbild
musst Du verteidigen können. Du musst vor allem Deiner Umgebung
helfen, es zu begreifen, denn manchmal wird es zum Zeichen des
Widerspruchs werden.
Du musst begreiflich
machen, dass es in ein und derselben Linie verschiedene Eingebungen
geben kann, wie es an ein und demselben Leibe verschiedene Glieder
gibt, und dass es also auch verschiedene Auffassungen in der
Beobachtung der Grundregeln des Ordenslebens geben kann.
Das Evangelium über
alles stellen. Die Regel der Kleinen Schwestern Jesu verlangt von
Dir, dass Du die Vorschriften des Ordenslebens immer jenen des
Evangeliums unterordnest. Immer sollst du die Liebe über alle
Regeln stellen. Sie wird Dir die oberste Regel sein, weil sie das
größte und einzige Gebot Jesu ist.
Stille und Klausur
sollen Dich in inniger Verbundenheit mit Jesus erhalten und Dich in
seiner Liebe wachsen lassen. Ihr Sinn ist also nicht, Dich von den
Menschen, Deinen und Jesu Brüdern, abzuschließen. Um es
nicht etwa an Liebe fehlen zu lassen, sollst Du das Stillschweigen
und die Klausur immer der Gastfreundschaft und Nächstenliebe
unterordnen, die für Dich höhere Pflichten sind …
Pflege nicht nur die
religiösen Tugenden, denn sie müssten gestört und
widernatürlich werden, wenn Du sie nicht auf menschliche
Tugenden aufbautest. Diese musst Du zu großer Vollkommenheit
ausbilden, zum Lob und Ruhme Jesu Christi, des menschgewordenen
Gottessohnes …
Dein Leben sieht von
außen einem apostolischen Leben gleich. Ist es Dir klar, dass
Du es dennoch auf eine wesentlich beschauliche Weise führen
musst und dass Dein beschauliches Leben, weil es in die Tat
überströmen soll, umso mehr in die Tiefe reichen und umso
heller strahlen muss - dass es ein besonders fruchtbares Leben sein
muss, gerade weil Du Dich entschlossen hast, gleichsam der Sauerteig
inmitten der Menschenmassen zu sein? …
Um beschaulich leben zu
können, wirst Du bei der Arbeit wie auf den Landstraßen
und inmitten der Menge ganz einfach versuchen, Deine Augen zu Jesus
zu erheben und mit Ihm ins Gespräch zu kommen wie mit dem
teuersten Wesen auf der Welt …
Das Evangelium sei Dein
Schatz. Es ist das Buch des Lebens und enthält die Wissenschaft
der Liebe. Lass es Dir in Verstand und Herz eindringen, damit Dein
Leben eine lebendige Predigt des Evangeliums, eine lebendige
Frohbotschaft sein kann.
Mach aus Deiner
Fraternität ein eucharistisches Nazareth, dessen Mitte der
Tabernakel ist. Deine tiefste Freude sei, ihn häufig zu
besuchen, um dort die Liebe Jesu zu schöpfen, das Leben Jesu, um
Geist und Herz so von Ihm erfüllt zu haben, dass Er durch Dich
hindurch überströmt.
[Magdeleine
von Jesus, in: Quellen geistlichen Lebens, Bd. 4, Ostfildern 2008,
S.125-31]
3. Heiligung des Alltags
Nach Columba Marmion († 1923)
heiligt Jesus durch sein
Leben im Alltag auch unseren Alltag:
Das Ziel aller
Vervollkommnung und Entwicklung des übernatürlichen Lebens
ist,
zum Vollalter Christi zu gelangen
[Eph 4,13] …
Es ist nur ein Leib, von dem Christus das Haupt ist; wir alle sind
durch die Gnade Glieder desselben; aber wir müssen vollkommene
Glieder werden, die ihres Hauptes würdig sind. Das ist das Ziel
unseres geistlichen Lebens.
Christus, als unser
Haupt, ist aber auch die Quelle dieses geistlichen Fortschritts. Wir
dürfen es nicht vergessen, dass Jesus Christus mit Annahme
unserer menschlichen Natur all unsere inneren und äußeren
Werke geheiligt hat; sein menschliches Leben war dem unseren gleich,
und sein göttliches Herz ist der Mittelpunkt aller Tugenden,
Jesus Christus hat alle Arten menschlichen Tuns selbst geübt.
Wir dürfen durchaus nicht glauben, dass der Herr unbeweglich in
Entzückung geweilt habe; nein, er schöpfte vielmehr aus der
beglückenden Anschauung Gottes und seiner Vollkommenheit die
Triebkraft seiner Tätigkeit; er wollte den Vater dadurch
verherrlichen, dass er in seiner Person die vielfachen und
obliegenden menschlichen Tätigkeiten heiligte. Wir beten: Er hat
Nächte betend durchwacht. Wir arbeiten: Er hat sich gemüht
in harter Arbeit bis zum 30. Lebensjahr. Wir essen: Er hat mit seinen
Jüngern zu Tische gegessen. Wir müssen Widersprüche
und Angriffe von Seiten der Menschen erfahren: Auch er hat sie
gekannt, oder haben ihn die Pharisäer jemals in Ruhe gelassen?
Wir müssen leiden: Er hat geweint, hat für uns und vor uns
an Leib und Seele gelitten, wie kein anderer Mensch je zu leiden
hatte. Wir erleben freudige Stunden: Seine heilige Seele hat in
unaussprechlichem Jubel frohlockt. Mit einem Wort: Er hat getan, was
wir tun.
Und wozu dies alles?
Nicht bloß, um als unser Haupt uns ein Beispiel zu geben,
sondern um durch diese Handlungen uns die Gnade zu verdienen, dass
wir all unsere Handlungen heiligen können, um uns die Gnade zu
erwerben, die unser Tun Gott wohlgefällig macht. Diese Gnade
verbindet uns mit ihm, macht uns zu lebendigen Gliedern seines
Leibes. Um zu wachsen in ihm und zur Vollkommenheit der Glieder
Christi zu gelangen, müssen wir diese Gnade nicht nur in unsere
Seele, sondern in unser ganzes Leben und Tun eindringen lassen.
Jesus Christus wohnt in
uns mit all seinen Verdiensten, um all unser Handeln zu beleben. Wenn
wir nun durch eine oftmalige, gerade und reine Meinung all unsere
täglichen Handlungen mit den Handlungen vereinigen, die Jesus
Christus auf Erden verrichtete, dann fließt Gottes Gnadenkraft
in ununterbrochenem Strom auf uns herab. Wenn wir all unsere
Handlungen in Liebe mit ihm verrichten, werden wir sicher und rasch
vorwärts schreiten.
[Columba Marmion OSB: Christus das Leben der Seele, übertragen von M. B. v.
Spiegel, 4,51931,
S. 237f.]
4. Lehrtätigkeit
Apollonius „der Apologet” († 184/5) betont vor allem die
Lehrtätigkeit Jesu:
Unser Erlöser
Jesus Christus, als Mensch geboren in Judäa, in allem gerecht
und erfüllt mit göttlicher Weisheit, lehrte uns
menschenfreundlich, wer der Gott des Weltalls und welches der
Endzweck der Tugend zu einem heiligen Leben ist, in Anpassung an die
Seelen der Menschen. Durch sein Leiden hat er der Herrschaft der
Sünden ein Ende gemacht. Er lehrte nämlich, den Zorn zu
bändigen, die Begierde zu mäßigen, die Gelüste
zu zügeln, die Traurigkeit zu bannen, verträglich zu sein,
die Liebe zu mehren, die Eitelkeit abzulegen, sich nicht zur Rache
gegen Beleidiger hinreißen zu lassen, den Tod auf Grund eines
Richterspruches zu verachten, nicht weil man Unrecht getan hat,
sondern indem man es geduldig erträgt, ferner dem von ihm
gegebenen Gesetze zu gehorchen, den Kaiser zu ehren, Gott aber, der
allein unsterblich ist, anzubeten, an die Unsterblichkeit der Seele
und eine Vergeltung nach dem Tode zu glauben, einen Lohn für die
Tugendbestrebungen zu erhoffen nach der Auferstehung, die von Gott
denen zuteil werden soll, die fromm gelebt haben.
.[Martyrium
des hl. Apollonius, In: Frühchristliche Apologeten und
Märtyrerakten, BKV, Bd.2, Kempten/München 2013, S.319-328]
Der Mönch und Erbauungsschriftsteller Ludolf von
Sachsen († 1377/8) lädt ein, Lehre und Leben
Jesu wie ein gegenwärtiges Geschehen zu meditieren:
Sinne
darüber nach, was der gütige Jesus gesagt oder getan hat,
ebenso über die Gleichnisse. Du aber, wenn du daraus Frucht zu
gewinnen begehrst, dann musst du mit der ganzen Leidenschaft des
Geistes sorgfältig, voller Freude und hartnäckig alle
anderen Sorgen und Kümmernisse und Bedrängnisse abwerfen
und abwehren. Du sollst durch die Tat erweisen, dass für dich
gegenwärtig ist, was durch und um den Herrn Jesus gesagt und
getan worden ist und das berichtet wird - so, als hättest du es
mit eigenen Ohren gehört und mit eigenen Augen gesehen -; es ist
das Herrlichste für den, der voller Verlangen darüber
nachsinnt und noch viel herrlicher aber für den Schmeckenden,
den Schauenden. Deswegen sollst du, obwohl vieles aus dem Geschehenen
als in der Vergangenheit vollbracht erzählt wird, es dennoch
betrachten und im Herzen bedenken, als ob alles in der Gegenwart
geschähe: so wirst du daraus ohne jeden Zweifel größere
Süßigkeit gewinnen und genießen.
[Mystische
Texte des Mittelalters, hrsg. v. J. Lanczkowski. Philipp
Reclam j. Stuttgart 2007, S. 297]
5. Vorbild
Häufig wird auch der Vorbildcharakter des Lebens Jesu für unser menschliches Leben betont:
Nach Hippolyt von Rom
(† 235) hat Jesus aus einer Jungfrau
Fleisch angenommen und den alten Menschen in einem neuen Gebilde
getragen, er ist im Leben durch jedes Lebensalter gegangen, damit er
selbst jedem Lebensalter zum Gesetz werde und allen Menschen sich
selbst in seiner Menschheit als Ziel vor Augen halte und durch sich
selbst beweise, dass Gott nichts Böses geschaffen habe, der
Mensch mit freier Selbstbestimmung ausgestattet sei und das Wollen
und Nichtwollen in seiner Gewalt habe und zu beidem fähig sei;
wir wissen, dieser Mensch ist aus demselben Stoffe wie wir
entstanden … Damit er aber uns gleich geachtet würde, hat er
Arbeit auf sich genommen, wollte Hunger und Durst erleiden, hungern,
hat im Schlafe geruht, sich Leiden nicht widersetzt, hat dem Tod
gehorcht und seine Auferstehung sichtbar gemacht, und er hat in all
diesem seine eigene Menschheit als Erstlingsopfer dargebracht, damit
du im Leiden nicht den Mut verlierst, sondern dich als Menschen
bekennend auch das erwartest, was du ihm [in der Taufe als Opfer]
dargebracht hast.
[refutatio
omn. haeres. 10,33: MPG 16,3, Nr. 33; BKV 2
40, S. 289]
Papst Leo I. „der Große”
(† 461): Wäre er nicht wahrer Gott, so
brächte er keine Erlösung; wäre er nicht wahrer
Mensch, so böte er uns kein Beispiel.
Johannes von Ávila († 1569):
Gleichwie Gott,
indem er die Menschen an den Schätzen seiner Gottheit teilnehmen
lassen wollte, dies als Mittel wählte, dass er Mensch geworden,
damit er durch die Niedrigkeit und Armut den Armen und Niedrigen
gleich sein könnte, und indem er sich mit ihnen vereinigte, sie
zu seiner Höhe emporheben könnte, so ist der gewöhnliche
Weg, worauf Gott den Seelen seine Gottheit zuteil werden lässt:
seine heilige Menschheit. Sie ist die Pforte; wer durch sie eingeht,
wird selig werden; sie ist die Leiter, auf ihr steigen wir zum Himmel
empor.
[Juan de Ávila.
Regensburg, 1856; Bd. 1, S. 366f.]
Johannes vom Kreuz († 1591):
Nichts tun und
kein nennenswertes Wort sprechen, das Christus nicht spräche
oder täte, wenn er sich in dem Stand befände, in dem ich
mich befinde.
Vinzenz Pallotti
(† 1850):
Wir müssen
in den verschiedenen Situationen des Tages, bevor wir an die Arbeit
gehen, erwägen, welche Gedanken unser Herr Jesus Christus hatte
und welche Gefühle sein göttliches Herz empfände.
Ebenso müssen wir erwägen, wenn wir sprechen müssen,
welche Worte der Demut, der Sanftmut, der Liebe, der Geduld, der
Klugheit unser Herr Jesus Christus spräche. Denken wir darüber
nach, wie maßvoll seine Worte waren, weder viele noch zu wenige
…, mit einem Wort: In allem müssen wir uns vorstellen,
unseren Herrn Jesus Christus zu sehen.
[Vinzenz Pallotti. Ausgewählte Schriften, hrsg. v. Bruno Bayer u. Josef
Zweifel, Friedberg b. Augsburg 31999]
6. Ruf zur Nachfolge
Johannes Gabriel Perboyre († 1840) betonte immer wieder,
dass es nicht so sehr darum gehe, Leben und Wirken Jesu Christi zu
studieren, sondern darum, ihn nachzuahmen und ihm nachzufolgen. Er
selbst hat es getan in seinem Wirken und Leiden:
Jesus Christus
ist nicht bloß auf die Erde gekommen, um uns durch seine Lehre
zu unterrichten, sondern auch um uns als Vorbild zu dienen … Jesus
Christus hat uns selbst gesagt: 'Ich habe euch ein Beispiel gegeben,
damit ihr tut, wir ihr mich habt tun sehen' (Joh 13,15) … Wir
können nur durch die Gleichförmigkeit mit Jesus Christus
zum Heil gelangen. Nach unserem Tod wird man uns nicht fragen, ob wir
gelehrt gewesen sind, ob wir hohe Stellen versehen haben, ob wir
gemacht, dass man in der Welt vorteilhaft über uns gesprochen
habe, sondern man wird uns fragen, ob wir uns damit beschäftigt
haben, Jesus Christus zu studieren und Ihm nachzufolgen. Wenn Gott an
uns keine Züge der ähnlichkeit mit dem göttlichen
Muster findet, das er uns gegeben hat, so werden wir verworfen
werden; dagegen werden wir verherrlicht, wenn wir uns Ihm
gleichförmig gemacht haben.
Jesus Christus ist die
Form der Auserwählten; die Heiligen im Himmel sind die Abbilder
des auferweckten und verherrlichten Christus, wie sie auf Erden
Abbilder des leidenden, verdemütigten und tätigen Christus
waren. Die Heiligen, welche zur höchsten Glorie erhoben und
unserem Herrn am nächsten gerückt sind, sind gerade
diejenigen, welche ihr Vorbild am besten nachgeahmt, die ihn am
vollkommensten dargestellt haben.
Wenn wir zur
Herrlichkeit des Himmels gelangen wollen, so müssen wir Maler
werden; je treuer wir in uns seine Demut, seinen Gehorsam, seine
Liebe und seine anderen Tugenden abschildern [sic!], desto mehr
sichern wir unser Heil und desto größer wird unsere Glorie
im Himmels sein. Machen wir es wie ein Maler, der vor Begierde
brennt, ein Gemälde von großem Wert treu wiederzugeben:
Halten wir unsere Augen fortwährend auf Jesus Christus
gerichtet. Begnügen wir uns nicht, einen oder zwei Züge
unseres Vorbilds festzuhalten, gehen wir auf alle seine Gedanken ein,
machen wir uns alle seine Tugenden zu eigen. Fangen wir jeden Tag von
neuem an und fahren wir fort, ohne jemals müde zu werden …
Aber wie können
wir dazu gelangen, vollkommen die Züge eines so schönen
Vorbilds auszudrücken? Wir haben dazu nur den Wirkungen des Hl.
Geistes in unseren Herzen zu folgen: Dieser göttliche Geist
bemüht sich, in uns das Bild Jesu Christi durch die Ausgießung
seiner Gaben zu formen …
Vergessen wir ebenfalls
nicht, dass, wenn Jesus Christus das Muster unserer Vollkommenheit
ist, Er auch das Mittel ist, durch welches wir zu dieser
Vollkommenheit gelangen können. Wenden wir uns denn oft an ihn
und sagen Ihm: Herr, Du willst, dass ich an Deiner Nachfolge
arbeite, und ich verlange es von ganzem Herzen; aber gedenke, dass
ich nur ein armer Lehrling bin, dass ich ohne Dich nichts kann; bilde
Dich also in mir ab, denn wenn Du den Pinsel nicht nimmst und nicht
Hand anlegst, so werde ich nur Sudeleien machen und nur unförmliche
[sic!] Züge hervorbringen, die keine ähnlichkeit mit Dir
haben!
Jesus Christus
ist der große Lehrer der Wissenschaft; er allein gibt wahres
Licht. Alle Wissenschaft, die nicht von ihm kommt und nicht zu ihm
führt, ist eitel, unnütz und gefährlich." "Bitten
Sie Ihn also oft, dass Er Sie erleuchte; gehen Sie nie ohne [diese]
Ihre Fackel, wenn Sie sich nicht verirren wollen. Wenn Sie studieren,
so bitten Sie Ihn, dass Er selbst Sie lehre; wenn Sie mit jemand
reden, so bitten Sie Ihn, dass Er Ihnen das eingebe, was Sie sagen
sollen; wenn Sie irgend etwas zu tun haben, so beschwören Sie
Ihn, das Er Sie erkennen lasse, was Er von Ihnen verlangt!
Jesus Christus
hat sich für mich dargebracht; ich muss mich also auch für
Ihn darbringen, mein Leben muss ein fortwährendes Opfers ein.
[Franz
Vauris, Leben des ehrwürdigen Joh. Gabriel Perboyre,
Missionspriesters und Martyrers, Deutsch v. Johann Peter Stollenwerk,
Regensburg 1889, S. 253f.]
Ludwig von Casoria († 1885):
Wer sich vornimmt,
Jesus zu lieben, muss sich vornehmen, Jesus in seiner Geburt, in
seinem Leben und in seinem Tod zu folgen.
7. Wunder und Verklärung
Ephraem der Syrer / Johannes „Chrysostomus” / Papst Leo I. „der Große” / Hieronymus (siehe Generalregister BKV S. 96)
Wunder keine Zauberei: Origenes (BKV II 12 u. ö.)
Beglaubigung: Ambrosius von Mailand (BKV II 255.257); vgl. Augustinus von Hippo (BKV VI 162-65)
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Autor: Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB - zuletzt aktualisiert am 09.08.2025
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