Ökumenisches Heiligenlexikon

Spiritualität der Heiligen - Eine Quellensammlung

zusammengestellt von Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB,
Benediktinerabtei Schäftlarn

Vorbemerkungen

Leben Jesu

Das irdische Leben Jesu ist in verschiedener Hinsicht bedeutsam:

1. Solidarisierung Jesu mit den Leidenden
2. Das verborgene Leben in Nazareth
3. Heiligung des Alltags
4. Lehrtätigkeit
5. Vorbild
6. Ruf zur Nachfolge
7. Wunder und Verklärung

1. Solidarisierung Jesu mit den Leidenden

Ein wichtiger Aspekt ist die Solidarisierung des Gottessohnes mit uns Menschen, vor allem mit den Kleinen, Schwachen und Leidenden:

Hippolyt von Rom († 235):
Damit er aber uns gleich geachtet würde, hat er Arbeit auf sich genommen, wollte Hunger und Durst erleiden, hungern, hat im Schlafe geruht, sich Leiden nicht widersetzt, hat dem Tod gehorcht und seine Auferstehung sichtbar gemacht, und er hat in all diesem seine eigene Menschheit als Erstlingsopfer dargebracht, damit du im Leiden nicht den Mut verlierst, sondern dich als Menschen bekennend auch das erwartest, was du ihm [in der Taufe als Opfer] dargebracht hast.
[refutatio omn. haeres. 10,33: MPG 16,3, Nr. 33; BKV 2 40, S. 289

2. Das verborgene Leben in Nazareth

Für Charles de Foucauld und Magdeleine Hutin war es vor allem das verborgene Leben Jesu in Nazareth, das sie ansprach. Auf ihre Anregung bzw. Initiative gehen die Ordensgemeinschaften der Kleinen Brüder Jesu und Kleinen Schwestern Jesu zurück, die sich gerade diese unscheinbare und unspektakuläre Zeit des Lebens zum Vorbild genommen haben.

Charles de Foucauld († 1916):
Er [Jesus] ging mit ihnen [Maria und Josef] hinunter. Er kam nach Nazaret und ordnete sich ihnen unter.
Er ging hinunter: Sein Leben lang tut er nichts anderes, als hinunter zu gehen: in seiner Menschwerdung, indem er arm wird, verlassen, ausgegrenzt, verfolgt, hingerichtet, immer steht er am letzten Platz.
Wenn ihr zum Festmahl eingeladen werdet, setzt euch an den letzten Platz. Von seinem Eintritt ins Festmahl des Lebens bis zum Tod handelt er selbst nicht anders. Er geht nach Nazaret, Ort der Verborgenheit: gewöhnlicher Alltag, Familie, Gebet, Arbeit, nichts Besonderes, ein stilles Leben in Tugenden, die nur Gott bekannt sind, unter seinen Verwandten und Nachbarn. Das heilige, demütige, wohltätige, unauffällige Leben, das die große Mehrzahl der Menschen führt und das dreißig Jahre lang seines war. Er ordnete sich ihnen unter. Er, Gott, ihnen, den Menschen. Beispiel des Gehorsams, der Demut, der Entäußerung im eigentlichen Sinn, unendlich wie seine Gottheit.

Das Leben Jesu in Nazaret ist Foucauld auch Vorbild und Modell für alle Christen:

Welch ein Beispiel wollte er uns geben, allen, selbst Königssöhnen, da er selbst König war; uns allen, nicht nur den ehelos Lebenden, sondern auch den Eheleuten - denn in Nazaret lebte er zwischen Maria und Josef -; nicht nur den Ordensleuten, sondern auch den in der Welt Lebenden, denn in Nazaret lebte er inmitten seiner Gesellschaft. Er wollte das, er hat es sich ausgesucht, Sohn des Zimmermanns, der Zimmermann, der Sohn der Maria genannt zu werden. Das ist sein Ort im Leben, der Ort seiner Leute.
Nach seiner Himmelfahrt haben die Apostel, die ihn am besten kannten, seine heiligen Freunde in Betanien, seine ersten Jünger dasselbe gewählt.
Der Diener ist nicht mehr als der Meister. Wer der Erste sein will, sei wie der Letzte. Das bezog sich zunächst auf die Demut, und dann auf die Armut, die so eng mit ihr verbunden ist, in der er von der Krippe bis zum Kreuz gelebt hat.

[Texte: Charles de Foucauld / Hingabe und Nachfolge / Geistliches Lesebuch, Verlag Neue Stadt, München - Zürich - Wien 2005, S. 113 f.]

In einem Brief an eine Kleine Schwester legt Magdeleine Hutin († 1989) die Grundsätze ihres neu gegründeten Ordens dar:
Kleine Schwester! Du hast ein einziges Vorbild: Jesus. Suche kein anderes. Wie Jesus es in seinem irdischen Leben hielt, so werde auch Du allen alles: den Arabern werde Araberin, den Nomaden Nomadin, den Arbeitern Arbeiterin. Vor allem aber werde menschlich unter den Menschen …
Führe Dein Leben nicht am Rande der Massen. Wie Jesus mach Dich zu einem Bestandteil der Masse der Menschen. Dringe tief in Deine Umgebung ein und heilige sie durch eine Lebensführung, die der ihren gleichgestaltet ist; durch die Freundschaft; durch die Liebe; dadurch, dass Du Dein Leben wie Jesus ganz in den Dienst aller stellst. Gehe so in ihr Leben ein, dass Du eins bist mit allen, um unter ihnen gleichsam der Sauerteig zu sein, der sich in der Masse verliert, damit diese sich hebe …
Ich wiederhole Dir dies vor allem deshalb mit solchem Nachdruck, weil ich Jesus, das einzige Vorbild, das eine Maß, vor Augen habe; Jesus, den menschgewordenen Gott, der mitten unter den Menschen ganz einfach als einer von ihnen lebte. Er liebte sein Menschenleben und fand seine Freude darin, unter den Menschenkindern zu wohnen. Und er zögerte nicht, seine göttliche Würde unter der menschlichen Würde zu verbergen. Er hat die Würde des Menschen verherrlicht, als er unsere Menschennatur annahm …
Dies herrliche Vorbild musst Du verteidigen können. Du musst vor allem Deiner Umgebung helfen, es zu begreifen, denn manchmal wird es zum Zeichen des Widerspruchs werden.
Du musst begreiflich machen, dass es in ein und derselben Linie verschiedene Eingebungen geben kann, wie es an ein und demselben Leibe verschiedene Glieder gibt, und dass es also auch verschiedene Auffassungen in der Beobachtung der Grundregeln des Ordenslebens geben kann.
Das Evangelium über alles stellen. Die Regel der Kleinen Schwestern Jesu verlangt von Dir, dass Du die Vorschriften des Ordenslebens immer jenen des Evangeliums unterordnest. Immer sollst du die Liebe über alle Regeln stellen. Sie wird Dir die oberste Regel sein, weil sie das größte und einzige Gebot Jesu ist.
Stille und Klausur sollen Dich in inniger Verbundenheit mit Jesus erhalten und Dich in seiner Liebe wachsen lassen. Ihr Sinn ist also nicht, Dich von den Menschen, Deinen und Jesu Brüdern, abzuschließen. Um es nicht etwa an Liebe fehlen zu lassen, sollst Du das Stillschweigen und die Klausur immer der Gastfreundschaft und Nächstenliebe unterordnen, die für Dich höhere Pflichten sind …
Pflege nicht nur die religiösen Tugenden, denn sie müssten gestört und widernatürlich werden, wenn Du sie nicht auf menschliche Tugenden aufbautest. Diese musst Du zu großer Vollkommenheit ausbilden, zum Lob und Ruhme Jesu Christi, des menschgewordenen Gottessohnes …
Dein Leben sieht von außen einem apostolischen Leben gleich. Ist es Dir klar, dass Du es dennoch auf eine wesentlich beschauliche Weise führen musst und dass Dein beschauliches Leben, weil es in die Tat überströmen soll, umso mehr in die Tiefe reichen und umso heller strahlen muss - dass es ein besonders fruchtbares Leben sein muss, gerade weil Du Dich entschlossen hast, gleichsam der Sauerteig inmitten der Menschenmassen zu sein? …
Um beschaulich leben zu können, wirst Du bei der Arbeit wie auf den Landstraßen und inmitten der Menge ganz einfach versuchen, Deine Augen zu Jesus zu erheben und mit Ihm ins Gespräch zu kommen wie mit dem teuersten Wesen auf der Welt …
Das Evangelium sei Dein Schatz. Es ist das Buch des Lebens und enthält die Wissenschaft der Liebe. Lass es Dir in Verstand und Herz eindringen, damit Dein Leben eine lebendige Predigt des Evangeliums, eine lebendige Frohbotschaft sein kann.
Mach aus Deiner Fraternität ein eucharistisches Nazareth, dessen Mitte der Tabernakel ist. Deine tiefste Freude sei, ihn häufig zu besuchen, um dort die Liebe Jesu zu schöpfen, das Leben Jesu, um Geist und Herz so von Ihm erfüllt zu haben, dass Er durch Dich hindurch überströmt.

[Magdeleine von Jesus, in: Quellen geistlichen Lebens, Bd. 4, Ostfildern 2008, S.125-31]

3. Heiligung des Alltags

Nach Columba Marmion († 1923) heiligt Jesus durch sein Leben im Alltag auch unseren Alltag: Das Ziel aller Vervollkommnung und Entwicklung des übernatürlichen Lebens ist, zum Vollalter Christi zu gelangen [Eph 4,13] … Es ist nur ein Leib, von dem Christus das Haupt ist; wir alle sind durch die Gnade Glieder desselben; aber wir müssen vollkommene Glieder werden, die ihres Hauptes würdig sind. Das ist das Ziel unseres geistlichen Lebens.
Christus, als unser Haupt, ist aber auch die Quelle dieses geistlichen Fortschritts. Wir dürfen es nicht vergessen, dass Jesus Christus mit Annahme unserer menschlichen Natur all unsere inneren und äußeren Werke geheiligt hat; sein menschliches Leben war dem unseren gleich, und sein göttliches Herz ist der Mittelpunkt aller Tugenden, Jesus Christus hat alle Arten menschlichen Tuns selbst geübt. Wir dürfen durchaus nicht glauben, dass der Herr unbeweglich in Entzückung geweilt habe; nein, er schöpfte vielmehr aus der beglückenden Anschauung Gottes und seiner Vollkommenheit die Triebkraft seiner Tätigkeit; er wollte den Vater dadurch verherrlichen, dass er in seiner Person die vielfachen und obliegenden menschlichen Tätigkeiten heiligte. Wir beten: Er hat Nächte betend durchwacht. Wir arbeiten: Er hat sich gemüht in harter Arbeit bis zum 30. Lebensjahr. Wir essen: Er hat mit seinen Jüngern zu Tische gegessen. Wir müssen Widersprüche und Angriffe von Seiten der Menschen erfahren: Auch er hat sie gekannt, oder haben ihn die Pharisäer jemals in Ruhe gelassen? Wir müssen leiden: Er hat geweint, hat für uns und vor uns an Leib und Seele gelitten, wie kein anderer Mensch je zu leiden hatte. Wir erleben freudige Stunden: Seine heilige Seele hat in unaussprechlichem Jubel frohlockt. Mit einem Wort: Er hat getan, was wir tun.
Und wozu dies alles? Nicht bloß, um als unser Haupt uns ein Beispiel zu geben, sondern um durch diese Handlungen uns die Gnade zu verdienen, dass wir all unsere Handlungen heiligen können, um uns die Gnade zu erwerben, die unser Tun Gott wohlgefällig macht. Diese Gnade verbindet uns mit ihm, macht uns zu lebendigen Gliedern seines Leibes. Um zu wachsen in ihm und zur Vollkommenheit der Glieder Christi zu gelangen, müssen wir diese Gnade nicht nur in unsere Seele, sondern in unser ganzes Leben und Tun eindringen lassen.
Jesus Christus wohnt in uns mit all seinen Verdiensten, um all unser Handeln zu beleben. Wenn wir nun durch eine oftmalige, gerade und reine Meinung all unsere täglichen Handlungen mit den Handlungen vereinigen, die Jesus Christus auf Erden verrichtete, dann fließt Gottes Gnadenkraft in ununterbrochenem Strom auf uns herab. Wenn wir all unsere Handlungen in Liebe mit ihm verrichten, werden wir sicher und rasch vorwärts schreiten.

[Columba Marmion OSB: Christus das Leben der Seele, übertragen von M. B. v. Spiegel, 4,51931, S. 237f.]

4. Lehrtätigkeit

Apollonius „der Apologet” († 184/5) betont vor allem die Lehrtätigkeit Jesu:
Unser Erlöser Jesus Christus, als Mensch geboren in Judäa, in allem gerecht und erfüllt mit göttlicher Weisheit, lehrte uns menschenfreundlich, wer der Gott des Weltalls und welches der Endzweck der Tugend zu einem heiligen Leben ist, in Anpassung an die Seelen der Menschen. Durch sein Leiden hat er der Herrschaft der Sünden ein Ende gemacht. Er lehrte nämlich, den Zorn zu bändigen, die Begierde zu mäßigen, die Gelüste zu zügeln, die Traurigkeit zu bannen, verträglich zu sein, die Liebe zu mehren, die Eitelkeit abzulegen, sich nicht zur Rache gegen Beleidiger hinreißen zu lassen, den Tod auf Grund eines Richterspruches zu verachten, nicht weil man Unrecht getan hat, sondern indem man es geduldig erträgt, ferner dem von ihm gegebenen Gesetze zu gehorchen, den Kaiser zu ehren, Gott aber, der allein unsterblich ist, anzubeten, an die Unsterblichkeit der Seele und eine Vergeltung nach dem Tode zu glauben, einen Lohn für die Tugendbestrebungen zu erhoffen nach der Auferstehung, die von Gott denen zuteil werden soll, die fromm gelebt haben.
.[Martyrium des hl. Apollonius, In: Frühchristliche Apologeten und Märtyrerakten, BKV, Bd.2, Kempten/München 2013, S.319-328]

Der Mönch und Erbauungsschriftsteller Ludolf von Sachsen († 1377/8) lädt ein, Lehre und Leben Jesu wie ein gegenwärtiges Geschehen zu meditieren:
Sinne darüber nach, was der gütige Jesus gesagt oder getan hat, ebenso über die Gleichnisse. Du aber, wenn du daraus Frucht zu gewinnen begehrst, dann musst du mit der ganzen Leidenschaft des Geistes sorgfältig, voller Freude und hartnäckig alle anderen Sorgen und Kümmernisse und Bedrängnisse abwerfen und abwehren. Du sollst durch die Tat erweisen, dass für dich gegenwärtig ist, was durch und um den Herrn Jesus gesagt und getan worden ist und das berichtet wird - so, als hättest du es mit eigenen Ohren gehört und mit eigenen Augen gesehen -; es ist das Herrlichste für den, der voller Verlangen darüber nachsinnt und noch viel herrlicher aber für den Schmeckenden, den Schauenden. Deswegen sollst du, obwohl vieles aus dem Geschehenen als in der Vergangenheit vollbracht erzählt wird, es dennoch betrachten und im Herzen bedenken, als ob alles in der Gegenwart geschähe: so wirst du daraus ohne jeden Zweifel größere Süßigkeit gewinnen und genießen.
[Mystische Texte des Mittelalters, hrsg. v. J. Lanczkowski. Philipp Reclam j. Stuttgart 2007, S. 297]

5. Vorbild

Häufig wird auch der Vorbildcharakter des Lebens Jesu für unser menschliches Leben betont:

Nach Hippolyt von Rom († 235) hat Jesus aus einer Jungfrau Fleisch angenommen und den alten Menschen in einem neuen Gebilde getragen, er ist im Leben durch jedes Lebensalter gegangen, damit er selbst jedem Lebensalter zum Gesetz werde und allen Menschen sich selbst in seiner Menschheit als Ziel vor Augen halte und durch sich selbst beweise, dass Gott nichts Böses geschaffen habe, der Mensch mit freier Selbstbestimmung ausgestattet sei und das Wollen und Nichtwollen in seiner Gewalt habe und zu beidem fähig sei; wir wissen, dieser Mensch ist aus demselben Stoffe wie wir entstanden … Damit er aber uns gleich geachtet würde, hat er Arbeit auf sich genommen, wollte Hunger und Durst erleiden, hungern, hat im Schlafe geruht, sich Leiden nicht widersetzt, hat dem Tod gehorcht und seine Auferstehung sichtbar gemacht, und er hat in all diesem seine eigene Menschheit als Erstlingsopfer dargebracht, damit du im Leiden nicht den Mut verlierst, sondern dich als Menschen bekennend auch das erwartest, was du ihm [in der Taufe als Opfer] dargebracht hast.
[refutatio omn. haeres. 10,33: MPG 16,3, Nr. 33; BKV 2 40, S. 289]

Papst Leo I. „der Große” († 461): Wäre er nicht wahrer Gott, so brächte er keine Erlösung; wäre er nicht wahrer Mensch, so böte er uns kein Beispiel.

Johannes von Ávila († 1569):
Gleichwie Gott, indem er die Menschen an den Schätzen seiner Gottheit teilnehmen lassen wollte, dies als Mittel wählte, dass er Mensch geworden, damit er durch die Niedrigkeit und Armut den Armen und Niedrigen gleich sein könnte, und indem er sich mit ihnen vereinigte, sie zu seiner Höhe emporheben könnte, so ist der gewöhnliche Weg, worauf Gott den Seelen seine Gottheit zuteil werden lässt: seine heilige Menschheit. Sie ist die Pforte; wer durch sie eingeht, wird selig werden; sie ist die Leiter, auf ihr steigen wir zum Himmel empor.
[Juan de Ávila. Regensburg, 1856; Bd. 1, S. 366f.]

Johannes vom Kreuz († 1591):
Nichts tun und kein nennenswertes Wort sprechen, das Christus nicht spräche oder täte, wenn er sich in dem Stand befände, in dem ich mich befinde.

Vinzenz Pallotti († 1850):
Wir müssen in den verschiedenen Situationen des Tages, bevor wir an die Arbeit gehen, erwägen, welche Gedanken unser Herr Jesus Christus hatte und welche Gefühle sein göttliches Herz empfände. Ebenso müssen wir erwägen, wenn wir sprechen müssen, welche Worte der Demut, der Sanftmut, der Liebe, der Geduld, der Klugheit unser Herr Jesus Christus spräche. Denken wir darüber nach, wie maßvoll seine Worte waren, weder viele noch zu wenige …, mit einem Wort: In allem müssen wir uns vorstellen, unseren Herrn Jesus Christus zu sehen.
[Vinzenz Pallotti. Ausgewählte Schriften, hrsg. v. Bruno Bayer u. Josef Zweifel, Friedberg b. Augsburg 31999]

6. Ruf zur Nachfolge

Johannes Gabriel Perboyre († 1840) betonte immer wieder, dass es nicht so sehr darum gehe, Leben und Wirken Jesu Christi zu studieren, sondern darum, ihn nachzuahmen und ihm nachzufolgen. Er selbst hat es getan in seinem Wirken und Leiden:
Jesus Christus ist nicht bloß auf die Erde gekommen, um uns durch seine Lehre zu unterrichten, sondern auch um uns als Vorbild zu dienen … Jesus Christus hat uns selbst gesagt: 'Ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit ihr tut, wir ihr mich habt tun sehen' (Joh 13,15) … Wir können nur durch die Gleichförmigkeit mit Jesus Christus zum Heil gelangen. Nach unserem Tod wird man uns nicht fragen, ob wir gelehrt gewesen sind, ob wir hohe Stellen versehen haben, ob wir gemacht, dass man in der Welt vorteilhaft über uns gesprochen habe, sondern man wird uns fragen, ob wir uns damit beschäftigt haben, Jesus Christus zu studieren und Ihm nachzufolgen. Wenn Gott an uns keine Züge der ähnlichkeit mit dem göttlichen Muster findet, das er uns gegeben hat, so werden wir verworfen werden; dagegen werden wir verherrlicht, wenn wir uns Ihm gleichförmig gemacht haben.
Jesus Christus ist die Form der Auserwählten; die Heiligen im Himmel sind die Abbilder des auferweckten und verherrlichten Christus, wie sie auf Erden Abbilder des leidenden, verdemütigten und tätigen Christus waren. Die Heiligen, welche zur höchsten Glorie erhoben und unserem Herrn am nächsten gerückt sind, sind gerade diejenigen, welche ihr Vorbild am besten nachgeahmt, die ihn am vollkommensten dargestellt haben.
Wenn wir zur Herrlichkeit des Himmels gelangen wollen, so müssen wir Maler werden; je treuer wir in uns seine Demut, seinen Gehorsam, seine Liebe und seine anderen Tugenden abschildern [sic!], desto mehr sichern wir unser Heil und desto größer wird unsere Glorie im Himmels sein. Machen wir es wie ein Maler, der vor Begierde brennt, ein Gemälde von großem Wert treu wiederzugeben: Halten wir unsere Augen fortwährend auf Jesus Christus gerichtet. Begnügen wir uns nicht, einen oder zwei Züge unseres Vorbilds festzuhalten, gehen wir auf alle seine Gedanken ein, machen wir uns alle seine Tugenden zu eigen. Fangen wir jeden Tag von neuem an und fahren wir fort, ohne jemals müde zu werden …
Aber wie können wir dazu gelangen, vollkommen die Züge eines so schönen Vorbilds auszudrücken? Wir haben dazu nur den Wirkungen des Hl. Geistes in unseren Herzen zu folgen: Dieser göttliche Geist bemüht sich, in uns das Bild Jesu Christi durch die Ausgießung seiner Gaben zu formen …
Vergessen wir ebenfalls nicht, dass, wenn Jesus Christus das Muster unserer Vollkommenheit ist, Er auch das Mittel ist, durch welches wir zu dieser Vollkommenheit gelangen können. Wenden wir uns denn oft an ihn und sagen Ihm: Herr, Du willst, dass ich an Deiner Nachfolge arbeite, und ich verlange es von ganzem Herzen; aber gedenke, dass ich nur ein armer Lehrling bin, dass ich ohne Dich nichts kann; bilde Dich also in mir ab, denn wenn Du den Pinsel nicht nimmst und nicht Hand anlegst, so werde ich nur Sudeleien machen und nur unförmliche [sic!] Züge hervorbringen, die keine ähnlichkeit mit Dir haben!

Jesus Christus ist der große Lehrer der Wissenschaft; er allein gibt wahres Licht. Alle Wissenschaft, die nicht von ihm kommt und nicht zu ihm führt, ist eitel, unnütz und gefährlich." "Bitten Sie Ihn also oft, dass Er Sie erleuchte; gehen Sie nie ohne [diese] Ihre Fackel, wenn Sie sich nicht verirren wollen. Wenn Sie studieren, so bitten Sie Ihn, dass Er selbst Sie lehre; wenn Sie mit jemand reden, so bitten Sie Ihn, dass Er Ihnen das eingebe, was Sie sagen sollen; wenn Sie irgend etwas zu tun haben, so beschwören Sie Ihn, das Er Sie erkennen lasse, was Er von Ihnen verlangt!
Jesus Christus hat sich für mich dargebracht; ich muss mich also auch für Ihn darbringen, mein Leben muss ein fortwährendes Opfers ein.
[Franz Vauris, Leben des ehrwürdigen Joh. Gabriel Perboyre, Missionspriesters und Martyrers, Deutsch v. Johann Peter Stollenwerk, Regensburg 1889, S. 253f.]

Ludwig von Casoria († 1885): Wer sich vornimmt, Jesus zu lieben, muss sich vornehmen, Jesus in seiner Geburt, in seinem Leben und in seinem Tod zu folgen.

7. Wunder und Verklärung

Ephraem der Syrer / Johannes „Chrysostomus” / Papst Leo I. „der Große” / Hieronymus (siehe Generalregister BKV S. 96)

Wunder keine Zauberei: Origenes (BKV II 12 u. ö.)

Beglaubigung: Ambrosius von Mailand (BKV II 255.257); vgl. Augustinus von Hippo (BKV VI 162-65)


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Autor: Abt em. Dr. Emmeram Kränkl OSB - zuletzt aktualisiert am 09.08.2025

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